Waldlaubsänger

Der Waldlaubsänger – ein Berufspendler zwischen den europäischen sommergrünen Laubwäldern und der afrikanischen Feuchtsavanne

von Paul Mann, Pfrondorf

In den Tagen, wenn im April die Bäume auszuschlagen begonnen haben und der Schönbuch sein zartestes Grün zeigt, zeigt sich hier plötzlich auch wieder Waldlaubsänger. Er ist ein ungefähr meisen-großer, grünlich-gelber, eher unscheinbarer Singvogel,  jedoch mit einer weit tragenden Stimme. Sein ausgefallener, schwirrend-klingender Gesang und die hellen Lockrufe machen auf seine Anwesenheit aufmerksam. Im Licht- und Schattenspiel des Laubwerks wäre er sonst kaum zu entdecken.

Der einst weit verbreitete Buchenwald-Charaktervogel ist in den letzten Jahrzehnten ziemlich selten geworden und reiht sich in der aktuellen Roten Liste bereits unter die „stark gefährdeten“ Arten ein. Unter allen Waldvogelarten Baden-Württembergs weist er den massivsten Bestandes- und Arealverlust überhaupt auf. Auch im Schönbuch gab es Mitte des vergangenen Jahrhunderts noch tausende Sänger. Im letzten Jahr ergab eine – allerdings nicht ganz vollständige – Zählung lediglich 52 Reviere im Naturpark. Und  dabei war 2016 sogar ein recht gutes Jahr für diese Art. Die Bestände können von Jahr zu Jahr in hohem Maße schwanken. Das hängt mit großräumigen Verlagerungen entsprechend dem Witterungsverlauf und – das ist bemerkenswert – mit der Mäusedichte zusammen! Man muss wissen, dass der Waldlaubsänger Bodenbrüter ist – und die leben gewiss gefährlicher als andere. Man hat herausgefunden, dass der Zusammenhang mit dem Mäusevorkommen wohl ein Effekt der hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit durch marderartige Raubsäuger ist, dem die Laubsänger dann in mäuseärmere Gegenden auszuweichen versuchen.

Als Rückgangsursachen kommen Gefahren während dem Vogelzug und Veränderungen im afrikanischen Überwinterungsgebiet ebenso in Betracht, wie Zunahme der Prädation, Klimawandel und Veränderungen in der Waldstruktur. Mit dem zunehmenden Älterwerden der Laubwälder bei uns, geht auch ein feuchteres Mikroklima und ein geringerer Lichtgenuss mit weniger Bodenbewuchs einher. Möglicherweise wirkt sich das ungünstig auf die Eignung als Laubsänger-Lebensraum aus. Schließlich mag es der „Waldschwirrvogel“, wie sein althergebrachter Name lautet, nicht zu dunkel und kühl. Er  siedelt bevorzugt in steilen Hanglagen, die mit mittelalten Laubmischwäldern bestockt sind und ein nicht ganz geschlossenes Kronendach, sowie einen Stammraum mit Lücken aufweisen. Der Boden ist mäßig mit grasartiger Vegetation bedeckt und strukturiert, so dass sich viele Versteckmöglichkeiten für Nester finden. Untersuchungen aus der Schweiz, Deutschland und Polen ergaben, dass weniger als die Hälfte aller Bruten erfolgreich sind. Wichtigste Verlustursache von Nestern ist das Ausnehmen, hauptsächlich durch Marder und Eichelhäher. Der Rotfuchs spielt als Nesträuber eine untergeordnete Rolle, Mäuse praktisch gar keine.

Die Waldnaturschutzkonzeption von ForstBW nennt den Waldlaubsänger übrigens als eine der besonderen Waldzielarten, auf die gezielte Managementmaßnahmen, wie stärkere Auflichtungen ausgerichtet werden sollen. Es wird also etwas getan für den kleinen Fernreisenden und seine Lebensgemeinschaft!

Beobachtungstipp: Ihn zufällig zu entdecken, gelingt eher selten. Aber zwischen Mitte April und Anfang Juli ist sein „Schwirren“ zu vernehmen. Wer zu dieser Zeit rund um den Steingart oder die Olgahöhe entlangwandert und die Ohren spitzt, sowie ein Fernglas zur Hand hat, wird ihn bestimmt entdecken können. Viel Vergnügen dabei!

Neuntöter

Neuntöter und Rothirsch – keine Gruselgeschichte, sondern eine glückliche Allianz

„Rotrückiger Würger“ klingt nicht wirklich viel besser als die offizielle Bezeichnung „Neuntöter“. Dass ein besonders interessanter und – man darf sagen, sehr entzückender – Singvogel solche Namen zugedacht bekam, ist schon verwunderlich. Aber diese martialisch klingenden Worte klären sich auf, wenn man sie aus der Zeit ihrer Entstehung heraus zu verstehen versucht. Damals, zur Zeit der Naturalienkabinette vor ungefähr 250 Jahren, hatte man einen anderen Blick auf die Natur als heute und teilte das Getier üblicherweise nach nützlich und schädlich ein. Den Neuntöter hielt man wegen seiner Jagdleidenschaft und seines krummen Schnabels für einen kleinen Raubvogel. Somit stand es um seine Reputation – wie jeder sich denken kann – nicht besonders günstig, um nicht zu sagen: übel.
Und der außergewöhnliche Name Neuntöter trifft die Eigenart dieses Vogels im Grunde recht gut. Was hat es damit auf sich? Nun, Lanius collurio, wie er wissenschaftlich heißt, ist ein Jäger. Er jagt bevorzugt größere Insekten, v. a. Käfer, Heuschrecken und Falter, verschmäht gelegentlich jedoch auch kleine Säuger, Reptilien oder gar Vögel nicht. Das ist auch der Grund, weshalb er ein Zugvogel ist, der es vorzieht, wintertags in Afrika zu weilen. „Neuntöter“ wurde ihm zugeschrieben aufgrund seiner Angewohnheit, überschüssigen Fang zur Vorratshaltung vorübergehend auf Dornen aufzuspießen.
Dabei ist der Neuntöter eben kein klassischer Waldbewohner wie Buntspecht oder Kleiber. Vielmehr liegt der eigentliche Schwerpunkt des Vorkommens in der heckenreichen Feldflur und sonnenexponierten Obstwiesen. Waldränder und Lichtungen bieten aber zuweilen auch sehr gute, nahrungsreiche Lebensstätten. Gerade größere Sturmwurfflächen und Jungwüchse können für einige Jahre besiedelt werden, wie dies nach den Orkanen Lothar und Kyrill der Fall war.
Die Besonderheit des Schönbuchs ist, dass – wegen der zahlreichen Wildwiesen und Grünflächen, also dank des Rotwildvorkommens – nicht alle Offenbereiche und Frühwaldstadien wieder rasch verschwinden und die Ansiedlungen somit beständiger sind.
Eine Kartierung im Frühsommer 2015 durch den Autor ergab insgesamt 12 erfolgreiche Brutpaare innerhalb der Waldflächen des Naturparks. An größeren Wildwiesen, gerade wenn sich benachbart Jungwüchse anschließen, aber auch an einigen ausgedehnteren Verjüngungsflächen waren sie zu finden. Das war ein überraschend erfreuliches Ergebnis, zumal wahrscheinlich noch einzelne weitere übersehen worden sein dürften. Sicherlich hinzuzurechnen sind innerhalb der Grenzen des Naturparks übrigens noch einige weitere Reviere im Bereich des Obstwiesengürtels am Schönbuchsüdtrauf zwischen Mönchberg und Unterjesingen. Damit lässt sich der Neuntöter tatsächlich auch als Lichtwaldart bezeichnen. Und, obwohl sich der Bruterfolg 2015 deutschlandweit als eher gering erwies, war augenscheinlich die Zahl flügger Jungvögel in Waldhabitaten deutlich höher, was auf günstigere Verhältnisse als im Offenland hindeutet!

Beobachtungstipp
Besonders gute Chancen, den Neuntöter zu Gesicht zu bekommen, bestehen z. B. beim Besuch der Wildbeobachtungskanzel am Dickenberg. Hier braucht man mit dem Feldstecher nur die Wipfel junger Bäume am Freiflächenrand abzusuchen. Dabei erweist sich die Angewohnheit des Vogels, stets von hoher Warte die Umgebung zu mustern, als sehr hilfreich. Aber Geduld ist natürlich – wie allgemein bei der Tierbeobachtung – schon von Nöten.

Der Neuntöter ist Fernzieher. Er kehrt relativ spät, erst ab Anfang Mai, aus dem tropischen Winterquartier wieder. Sein Gesang ist unauffällig; das Nest wird gut verborgen in dichtem Gebüsch oder niedrigen Bäumen angelegt. Es gibt nur eine Jahresbrut.

von Paul Mann,
Pfrondorf